Staatsgalerie Prenzlauer Berg

Der Name ist ein klarer Fall von Amtsanmaßung

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1853 beginnt mit dem Krimkrieg zwischen Russland auf der einen, dem Osmanischen Reich, Großbritannien, Frankreich und später Sardinien auf der anderen Seite nicht nur der ?erste moderne Medienkrieg? (Ulrich Keller), sondern 1855 wird in seinem Verlauf auch die erste rein militärischen Zwecken dienende Eisenbahnstrecke gebaut: Neun Kilometer zwischen dem Hafen von Balaklawa und dem Lager der britisch-französischen Belagerungsarmee vor Sewastopol, der ?Vorwegnahme von Verdun? (German Werth).

160 Jahre später schickt der Berliner Bühnenbildner und Künstler Alexander Wolf eine Modellbahnlokomotive durch eine Miniaturlandschaft, die er auf einer 2 x 1,30 Meter-großen Eisenbahnplatte entwirft. Die Landschaft ist von Kriegsspielzeug bevölkert, das zum Leben erwacht ist: Godzilla mit dem Hoheitszeichen der US-Armee kämpft gegen Kreuzritter; Cowboys und Indianer stehen ihm bei. Die Lok ist eine der Deutschen Reichsbahn aus den Dreißiger Jahren, auf ihren Anhänger ist eine Kamera montiert. Ihr fahrendes Auge durchstreift eine vom Menschen gemachte Landschaft; die Differenz zwischen ?gestaltet? und ?verwüstet? ist dabei eine geringe.

Elektroschrott bildet eine Assemblage verschiedener Architekturen: Derjenigen Tokios und / oder derjenigen aus Ridley Scotts ?Blade Runner?; schimmernde Industrie und verdunkelnde Werbung. Was die Kamera sieht, wird auf einen Monitor projiziert: Erinnerungen einstigen modernen Lebens und die Ahnung seiner möglichen Formen: ?Wie früher Geister kamen aus Vergangenheit, so jetzt aus Zukunft ebenso? (Bertolt Brecht, Untergang des Egoisten Fatzer). Das Schienenbett beschreibt eine Acht; die Zugfahrt führt endlos in einen Bergtunnel hinein und wieder heraus.

Um Wolfs Tableau platziert der Berliner Musiker und Maler Ronald Lippok eine Auswahl von Landschaftsmalereien. Er nennt sie ?apokalyptische Stilleben?. Sie sind nicht einfach eine Fortschreibung des Geschehens auf der Eisenbahnplatte. Zusammen bilden sie die hintergründige Anverwandlung eines Museumsraumes: Da das historische Panorama, dort die Schautafel. Die seit langem befreundeten Lippok und Wolf sind beide Museumsgänger, doch sehen sie sich nicht mit einem akademisch-pädagogischen Auftrag belastet, sondern von einem assoziativ-irritierenden Ansatz inspiriert.

In einem zweiten Raum zeigt Lippok Tier- und Geisterportraits: So einen Menschen, dem auf beiden Kopfseiten Drüsen wachsen; dann Fledermäuse, Schlangen und das Antlitz eines Bandwurms. Schließlich die Fangmaske eines Insekts. Die Technik in den Szenerien Lippoks und Wolfs ist so unheimlich, wie ihre Natur grotesk ist. Ihre imaginären Landschaften lassen sich bis zu den Höllenbildern Pieter Brueghel des Jüngeren nachverfolgen; aus jüngerer Zeit erinnern sie an die Briten Jake und Dinos Chapman: Die kontrovers rezipierten Brüder arbeiten mit Miniaturmodellen; so bauten sie Francisco Goyas Zyklus ?Die Schrecken des Krieges? mit Plastikfiguren nach. Ein andermal bemalten sie einen antiquarischen Druck von Goyas Radierungen mit heiteren Comicfiguren.

Darf man mit Entsetzen spielen? Manchmal muss man. 1988 war Ronald Lippok Austauschstudent am Leningrader Muchina-Institut. Zur Zeit der Weißen Nächte erlebte er, wie in einem Vorort des ehemals und bald wieder so heißenden St. Petersburg lokale Künstler Kindern ihr Kriegsspielzeug gegen Bonbons und Kopeken tauschten und daraus eine Performance veranstalteten. Der Abzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan war da bereits im Gange. Als zweieinhalb Jahre später der Luftkrieg um das irakisch besetzte Kuwait beginnt, wird das Gemetzel auf den Fernsehschirmen einem Videospiel gleich präsentiert. Robert Mießner